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02.05.2010 eingestellt von: Mario Schuller


Böhmische Dörfer

Acht Tage vom 27. Juli bis 03. August 2002 durch Böhmen. Dreizehn TeilnehmerInnen legen 430 Kilometer zurück und bewältigen 5500 Höhenmeter.

Die Tour begann am ersten Tag zunächst mit einer Bahnfahrt, die für sechs der 13 Teilnehmerinnen und Teilnehmer um 5.19 Uhr in Rüsselsheim anfing. Beim Umstieg in Frankfurt stießen weitere fünf Personen (darunter einer der beiden Tourenleiter) aus Flörsheim, Frankfurt und Bad Vilbel hinzu. Auf dem Weg nach Plattling komplettierte sich die Radlergruppe bei Zustiegen in Würzburg und Regensburg (der zweite Tourenleiter), so daß die Gruppe schließlich vier Damen und neun Herren umfasste. In Plattling folgte ein weiterer (diesmal wegen der Treppen schweißtreibender) Umstieg in einen Zug der Regentalbahn, der uns an die deutsch-tschechische Grenze nach Bayerisch Eisenstein (710 m) bringen sollte. Dort trafen wir gegen 11.30 Uhr ein. Nach den Grenzformalitäten, die sich mit dem Vorzeigen des Personalausweises sehr begrenzt hielten, erwartete uns auf tschechischer Seite schon Herr Jaroslav Neuzil, der unser Gepäck zu unserem ersten Quartier transportierte. Von unserem Gepäck erleichtert setzten wir uns auf unsere Fahrräder und radelten los, um nach wenigen hundert Meter wieder zu halten - an einer Geldwechselstube. Nachdem alle mehr oder weniger Geld gewechselt hatten, stand dem eigentlichen Tourbeginn nichts im Wege. Die Route nach Filipova Hut (Philippshütten, 1100 m) führte über Radwege und mehr oder weniger stark befahren Straße (teilweise mit Pflastersteinen), die aber ebenfalls zum vorbildlich ausgeschilderten Radwegenetz gehörten. Spätestens bei den zu bewältigenden Anstiegen waren alle froh über das fehlende Gepäck. Der sehr guten Ortskenntis eines der Tourenleiter war zu verdanken, daß es keine Wo-gehts-lang-Stops gab. In Prášily (Stubenbach) gönnten wir uns eine Kaffee-Pause. Dort sollten wir nicht zum letzten Mal mit Blaubeerkuchen - der reißenden Absatz fand - in Kontakt kommen. Die Sprachbarrieren wurden mit einem deutsch-englisch-tschechischen Sprachgemisch überwunden. Nach einer knappen Stunde setzten wir unsere Fahrt fort. In Modrava (Mader, 985 m) folgte der letzte aber auch längste Anstieg dieses Tages. Nach und nach erreichten die TeilnehmerInnen nach 46 Kilometern das Tagesziel Filipova Hut. Dort diente uns die Pension Hájenka (ehemaliges Fortshaus, heute mit 1100 m höchstgelegene Pension des Böhmerwaldes) für vier Tage bzw. Nächte als Unterkunft (mit Halbpension). Hier durften wir eine Ruhe genießen, von der wir im Rhein-Main-Gebiet nicht mal zu träumen wagen. Das Gepäck erwartete uns bereits ordentlich aufgereiht im Flur der Pension. Nach einer teilweise schweißtreibenden Fahrt erfrischten wir uns zunächst mit einem kühlen Bier (0,5 Liter kosten ca. 40 Cent) bzw. einer Apfelsaftschorle. Auf Grund der guten Deutschkenntnisse der Pensionsmitarbeiterinnen gab es keine Sprachprobleme. Bei Sonnenschein genossen wir die kühlen Getränke im Garten der Pension. Wir tauschten unsere ersten Eindrücke aus, die diese wunderschöne Landschaft auf uns macht. Da ist zuallererst die außerordentlich dünne Besiedlung, die den Schutz des Nationalparks Sumava natürlich sehr erleichtert. Nach der Vertreibung des deutschen Bevölkerungsteils wurden viele Dörfer dem Erdboden gleich gemacht oder dienten als Ziele für Schießübungen. Nach der Zimmerbelegung erwartet uns die nächste Erfrischung - die Dusche. Die Zimmer waren einfach aber völlig ausreichend eingerichtet. Bei einem ausgiebigen Abendessen, das - nicht nur an diesem Abend - aus einer Suppe, der Hauptspeise und einem Stück Kuchen als Nachtisch bestand, ließen wir den Tag ausklingen. In den folgenden Tagen bestand die Auswahl des Abendessens zwischen einem normalen und einem vegetarischen Essen, das am jeweiligen Vorabend mittels einer Strichliste bestellt werden mußte.

Der zweite Tag begann mit einem reichhaltigen Frühstück. Ob Müsli, Quark, Milch, Orangensaft, Kaffee, Tee, Wurst, Käse, Marmelade, Brötchen oder Brot - es war für jeden etwas dabei. Diese Auswahl wurde in den nächsten Tagen noch durch warme Würstchen, gekochte Eier oder Nudelsalat übertroffen. Gegen 9 Uhr schwangen wir uns auf unsere Fahrräder. Diese Abfahrtszeit hatten wir uns für die gesamte Woche vorgenommen. Das erste Ziel war Brezník (Pürstling, 1133 m). Das ehemalige Forsthaus dient heute als Informationsstelle. Bei gutem Wetter - wie an diesem Tag - kann man von hier das Panorama des Luzný (Lusen, 1373 m) betrachten, auf den man allerdings nur von deutscher Seite aus gelangt. Unterhalb des Cerná hora (Schwarzberg, 1315 m) vorbei, was wieder mit einem schweißtreibenden Anstieg - diesmal auf Schotterwegen - verbunden war, gelangten wir zur Pramen Vltavy (Moldauquelle). Dieses Hochmoorgebiet in einer Höhe von 1172 m ist die Geburtsstätte des Flusses Vltava (Moldau) und außerdem die Wasserscheide zwischen dem Schwarzen Meer und der Nordsee. Nach einem kurzen Aufenthalt, einem weiteren Anstieg mit anschließender Abfahrt erreichten wir Bucina (Buchwald, 1162 m), die ehemals am höchsten gelegene Ortschaft im Böhmerwald. Nach der Vertreibung der überwiegend deutschstämmigen Einwohner erlosch die Gemeinde. 1992 wurde ein Informationszentrum und ein Grenzübergang für Fußgänger und Radfahrer eröffnet. Bucina ist der niederschlagreichste Ort im Böhmerwald und wenn das Wetter mitspielt kann man von hier aus bis zu den Alpen schauen. Der Ausblick und die gleichzeitige Information über den Nationalpark Šumava veranlasste uns, hier unsere Mittagsrast einzulegen. Gestärkt und erholt setzten wir die Tour fort. Sie führte uns über Knízecí Pláne (Fürstenhut, 1027 m), einer ehemaligen Ortschaft, von der heute nur noch Gebäudereste und ein wieder hergerichteter Friedhof zeugen. Hier verläuft auch die europäische Wasserscheide zwischen Elbe und Donau. Den Weg nach Borová Lada (Ferchenhaid, 900 m), wo wir bei einer Kaffeerast den ersten Kontakt mit Palatschinken hatten, legten wir teilweise auf einer Straße zurück, wobei erwähnt werden sollte, daß die Qualität tschechischer Straßen teilweise zu wünschen übrig läßt. Auf dem Rückweg nach Filipova Hut machten wir noch einen Abstecher zum Hochmoor Chalupská slat. Dieses Moor, dessen Torfschicht eine Tiefe von 7 m erreicht, verbirgt den mit 1,3 ha größten Moorsee in Böhmen. In Filipova Hut nach 56 Kilometern angekommen ließen wir den Tag nach einer erfrischenden Dusche und einem ausgiebigen Adendessen langsam enden.

Auch am dritten Tag erwartete uns Sonnenschein zum Frühstück (und darüber hinaus). Gleich zu Beginn unserer heutigen Etappe war ein Anstieg zu bewältigen, dem sich jedoch eine rund vier Kilometer lange Abfahrt anschloß, die aber wegen des Straßenzustandes mit Vorsicht zu genießen war. Nach einem weiteren Anstieg hinter Horská Kvilda (Innergefild) folgte die nächste, diesmal rund neun Kilometer lange Abfahrt, die auf Grund des besseren Straßenbelags eher zu genießen war. Über Rejštejn (Reichenstein, 560 m) gelangten wir, mal wieder aufwärts fahrend, nach Kašperské Hory (Bergreichenstein, 739 m) und weiter aufwärts fahrend schließlich zur Burg Kašperk (Karlsberg). Die Burg, die an diesem Tag leider geschlossen und somit nicht zu besichtigen war, wurde in den Jahren 1356 - 61 erbaut. Nach einem kurzen Aufenthalt - der Aufstieg war recht schweißtreibend - fuhren wir rollenderweise wieder hinunter nach Kašperské Hory, wo wir zwecks Mittagsrast eine Gaststätte aufsuchten. Die Stadt erlebte auf Grund des umliegenden Golderzreviers im 14. Jahrhundert ihren größten Aufschwung. Im 18. Jahrhundert wurde der Bergbau durch Glasindustrie ersetzt und heute ist die Hauptbeschäftigung die Arbeit im Forst und in der holzverarbeitenden Industrie. Nach unserer mittäglichen Stärkung und einer kleinen Shoppingrunde (Wasser, Radwanderkarten oder auch Süßigkeiten wurden erworben) setzten wir unsere Fahrt fort, zunächst nach Rejštejn. Dort stand an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert die bedeutenste Glashütte in Österreich-Ungarn. Weiter ging es am goldtragenden Fluß Otava (Wottawa) entlang. Am Zusammenfluß von Kremelná (Kieslingbach) und Vydra (Widra), an dem ein im Jahre 1912 erbautes Wasserkraftwerk steht und der Fluß Otava entsteht, verließen wir die Straße und folgten fahrradschiebend stromaufwärts dem Bergfluß Vydra, dessen Blockbett an die Alpenflüsse erinnert. An der Mündung des Hamerský potok (Hammerbach), der auf Grund der höchstgelegenen Goldseife Tschechiens als geschütztes archäologisches Denkmal gilt, folgten wir dessen Verlauf - weiter fahrradschiebend - bis Horská Kvilda. Nach einem Anstieg - endlich wieder fahrradfahrend - und einer Abfahrt erreichten wir nach 61 Kilometern wieder Filipova Hut. Beim Abendessen erwarteten uns endlich die lang ersehnten böhmischen Knödel, gemeinsam mit einer Vorsuppe, Gulasch und einem Stück Kuchen. Im Garten der Pension ließen wir den Tag schließlich ausklingen.

Am vierten Tag sollten wir den bis dahin höchsten Punkt unserer Tour erreichen und somit war ein ausgiebiges Frühstück nur zu empfehlen. Zu Beginn dieser Tagesetappe durften wir uns etwas schonen und ließen die Fahrräder hinunter nach Modrava rollen. Ohne größere Steigungen oder Gefälle ging es stromaufwärts am Roklanský potok (Rachelbach) entlang. An seinem anderen Ufer erstreckt sich das Hochmoor Rybárenská slat, das ein Bestandteil des ausgedehnten Moorkomplexes Modravské slati ist. Das Gebiet ist die größte und wertvollste 1. Zone des Nationalparks Šumava. Als wir den Verlust einer Teilnehmerin feststellten, entschlossen wir uns, anzuhalten, in dem Glauben, sie werde bald wieder zu uns stoßen. Doch wir warteten vergeblich. Zwischenzeitlich war einer der Tourenleiter von einer Suchtour erfolglos zurückgekehrt. Der "Fährtenkenntnis" der Teilnehmerin und einem weiteren "Suchtrupp" war es zu verdanken, daß die Gruppe nach rund einer halben Stunde vollzählig die Fahrt fortsetzen konnte. Die mehr oder weniger ebene Steckenführung war bald vorbei. Die ersten Steigungen erwarteten uns und flachere Passagen bis zum Poledník (Mittagsberg, 1315 m) gaben uns zwischendurch nur kurz Gelegenheit zum Erholen. Der Poledník gehört zu den meistbesuchten Gipfeln im Böhmerwald. Auf den 37 Meter hohen Aussichtsturm führt eine Treppe mit 227 Stufen. Von dort bietet sich eine der schönsten Aussichten auf den Böhmerwald - wenn das Wetter mitspielt. Und das tat es an diesem Tag nicht ganz. Nach einem rund einstündigen Aufenthalt fuhren wir wieder bergab; größtenteils über eine Splittpiste, die wegen ihres starken Gefälles nicht ganz ungefährlich war. An einer Weggabelung unterbrachen wir unsere Abfahrt. Um zum Prášilské jezero (Stubenbacher See, 1080 m) zu gelangen, war ein Anstieg zu überwinden. Die letzten Meter zum See mußten wir zu Fuß zurücklegen. Der Gletschersee, der eine Tiefe von 15 Meter erreicht, erstreckt sich über ein Fläche von 3,7 ha in einem Granit- und Gneiskar am Hange des Poledník. Nach dem Abstieg setzten wir unsere zuvor unterbrochene Abfahrt nach Prášily fort, wo wir uns zur Mittagsrast niederließen. Da die einzige vorhandene Gaststätte über keine freien Sitzmöglichkeiten mehr verfügte, nahmen wir mit dem Café vorlieb, in dem bereits am ersten Tag der Blaubeerkuchen in unserer Gruppe reißenden Absatz fand - so auch diesmal. Als neben dem Blaubeerkuchen auch andere Kuchensorten probiert, die Wasser- und Süßigkeitenvorräte aufgefüllt waren, sowie Postkarten an die Zurückgebliebenen ihren Weg in einen Briefkasten fanden, schwangen wir uns behäbig auf unsere Fahrräder. Der Rückweg nach Filipova Hut führte uns teilweise am Vchynicko-Tetovský plavební kanal (Chinitz-Tetauer-Schwemmkanal) entlang. Der Kanal, der eine Gesamtlänge von 17843 Meter hat, wurde in den Jahren 1799 - 1801 erbaut. Er leitete Wasser aus der Vydra ab und ermöglichte das Schwemmen von großen Holzmengen überwiegend aus dem Stubenbacher Herrschaftsgut. Zum letzten Mal wurde 1958 in diesem Kanal Holz geflößt. Am Anfang des Kanals, unweit von Modrava entfernt, stießen wir auf den Fluß Vydra. Den dort angebotenen Rastplatz nahmen wir gerne an und ein Großteil der Gruppe kühlte ihre Füße und andere Körperteile im erfrischenden Wasser der Vydra. Nach der Erfrischung und Erholung war wieder schwitzen angesagt. Ab Modrava folgte der schon bekannte Anstieg nach Filipova Hut, wo wir nach 50 Kilometern zufrieden der geleisteten Höhenmeter wegen eintrafen. Den letzten Abend in der Pension Hájenka ließen wir nach dem Abendessen im Garten gemütlich ausklingen.

Am fünften Tag stand die Überfahrt zu unserem nächsten Übernachtungsquartier in Lenora (Eleonorenhain) an - mit Gepäck. Das wie immer reichliche Frühstück stärkte uns für diese Herausforderung, auch wenn keine großen Anstiege zu erwarten waren und die Strecke ausschließlich auf Straßen zurückgelegt werden sollte. Aber vielleicht war gerade das die Herausforderung. Mit mehr oder weniger stark beladenen Fahrrädern machten wir uns auf den Weg. In Kvilda (Außergefild, 1065 m) stand ein Stop auf dem Programm. In dem im Jahr 1345 entstandenen Ort hat das Nationalparkhaus seinen Sitz. Leider hatte dieses jedoch zum Zeitpunkt unseres Eintreffens noch nicht geöffnet, so daß wir uns im näheren Umkreis unserer Fahrräder etwas umsahen und dabei z.B. die neugotische Sankt Stephanskirche entdeckten. Als die Gruppe wieder vollzählig war, setzten wir unsere Tour fort. Nach einem weiteren Zwischenstop in Horní Vltavice (Obermoldau) trafen wir bereits zur Mittagszeit in Lenora (765 m) ein. Da die gleichnamige Pension noch nicht bezugsfertig war, suchten wir eine Gaststätte auf und stärkten uns für die an diesem Tag noch bevorstehenden Aufgaben. Nach der Mittagsrast - wieder mal mit Palatschinken - gingen wir fahrradschiebend zur auf der gegenüberliegenden Straßenseite gelegenen Pension Lenora (Übernachtung mit Frühstück), wo wir durch die Dame des Hauses freundlich empfangen wurden. Endlich wurden wir unser Gepäck wieder los. Auch in dieser Pension waren die Zimmer einfach aber zweckmäßig eingerichtet, wenngleich die Dusche einen leichten Hang zur Dunkelkammer hatte. Immerhin hatte jedes Zimmer für den Kontakt zur Außenwelt ein Radio zum Empfang deutscher Sender, so daß wir uns über die Geschehnisse in der Welt informieren konnten - wenn wir wollten. Da der Tag noch nicht sehr weit fortgeschritten war, setzten wir uns nochmal auf unsere Fahrräder und erkundeten die nähere Umgebung. Wie wir es von unseren bisherigen Touren gewohnt waren, ließ der erste Anstieg nicht lange auf sich warten, der uns auf Grund des guten Mittagessens etwas schwerer fiel. Gen Himmel blickend und ein Gewitter befürchtend entschlossen sich zwei unserer Mitradler am Ende des Anstieges zur Rückkehr. Um es vorweg zu nehmen: die Befürchtungen waren unbegründet. Der Rest des Teilnehmerfeldes fuhr abwärts Richtung Stozec (Tusset, 780 m), die Studená Vltava (Kalte Moldau) überquerend. Dieser folgten wir auf einem Radweg, von dessen Qualität wir nicht zu träumen gewagt hätten. Auch wenn sich über einen geteerten Weg am Naturpark Vltavský luh (Moldau-Auen), an dem wir entlang radelten, streiten läßt. Kurz hinter dem Zusammenfluß der Studená Vltava und der Teplá Vltava (Warme Moldau) zur Vltava (Moldau) verließen wir den gut ausgebauten Radweg, überquerten die Vltava und stießen auf eine Landstraße. Dieser Straße mit ihren Anstiegen und Abfahrten folgten wir bis Volary (Wallern, 760 m). Dort kamen wir am Mahnmal für die Opfer des Todesmarsches im Jahr 1945 und den sogenannten Tiroler Häusern vorbei, bevor wir uns in einer Gaststätte zu einer Rast niederließen. Anschließend legten wir die restlichen Kilometer nach Lenora zurück, wo wir nach insgesamt 73 Kilometer eintrafen. Nach einem ausgiebigen Abendessen (bei dem das böhmische Geheimnis gelüftet wurde) in einer Gaststätte mit einer äußerst flinken Bedienung (nicht ironisch gemeint), ließen wir den Tag auf der Terrasse der Pension bei einer Flasche Wein ausklingen. Der fünfte Tag ohne Panne ...

Auch in unserem zweiten Übernachtungsquartier wurden wir mit einem reichhaltigen Frühstück überrascht und wieder konnte zwischen einer vegetarischen und einer nicht-vegetarischen Mahlzeit gewählt werden. Am sechsten Tag werden wir mit Ceský Krumlov (Krumau, 492 m) den - topographisch gesehen - tiefsten Punkt unserer gesamten Tour erreichen. Aber bevor wir starten konnten, mußte ein Teilnehmer am Hinterrad seines Fahrrads eine schreckliche Entdeckung machen: platt, Luft raus. Wiederbelebungsversuche zwecklos. Eine Notoperation war erforderlich. Anschließend konnte das Ärzteteam melden: Operation gelungen, Patient unter Druck. Nun konnte es losgehen. Die Route führte uns wie schon am Nachmittag des Vortages nach Stozec. Diesmal aber umfuhren wir den Anstieg. An einem gut frequentierten Kiosk in Stozec frischten wir unsere Getränkevorräte auf. Ebenfalls wie am Vortag folgten wir dem gut ausgebauten Radweg an der Studená Vltava bzw. der Vltava entlang. Bei Nová Pec (Neuofen, 737 m) hatten wir bei der Überquerung dessen Ausläufer zum ersten Mal Kontakt mit dem Lipenská prehrada (Lipnostausee, auch böhmisches Meer genannt). Der Stausee, der eine Länge von 48 km und eine Fläche von 5000 ha hat, wurde nach dem Ort Lipno nad Vltavou (Lipen an der Moldau, 750 m) benannt, nahe dem die Talsperre (25 m hoch, 296 m breit, erbaut 1950 - 59) steht. Nördlich des Lipnostausees fahrend gelangten wir über Horní Planá (Oberplan, 776 m) nach Cerná v Pošumaví (Schwarzbach), wo wir zum zweiten mal den Stausee überquerten. Weiter ging es, um Anstiege zu vermeiden hauptsächlich auf Straßen, über Horice na Sumave, wo wir eine kurze Mittagsrast einlegten, zum Weltkulturerbe Ceský Krumlov. Die Stadt, deren historischer Kern unter Denkmalschutz steht (wurde beim Jahrhunderthochwasser 2002 stark beschädigt), zählt nach Prag zu den meistbesuchten und teuersten Städten der Tschechischen Republik. Nachdem wir unsere Fahrräder abgestellt und einen Treffpunkt ausgemacht hatten, starteten wir - einzeln oder in kleinen Gruppen - zu einer Stadtbesichtigung. Einige Häuser waren bereits mühevoll restauriert. Andere Häuser wiederum waren noch in einem sehr schlechten baulichen Zustand. Es gibt also noch viel zu tun - wir kommen später noch mal wieder. Die Burg, von der man einen herrlichen Blick über die Stadt und auf die Moldauschleife hat, wurde im 13. Jahrhundert erbaut und ist die zweitgrößte in Böhmen nach der Prager Burg. In dem sich anschließenden Park ließ es sich etwas von den Menschenmassen erholen, die sich durch die Burg und die Altstadt wälzten. Schließlich waren wir dies von unseren bisherigen Tourzielen nicht gewohnt. Nach einem rund vierstündigen Rundgang fanden sich alle am vereinbarten Treffpunkt (Marktplatz) ein und gemeinsam suchten wir eine Gaststätte in Moldaunähe auf. Auch hier durfte der fast schon traditionelle Palatschinken zum Nachtisch nicht fehlen. Das eigentliche Abenteuer dieses Tages stand uns noch bevor. Die Rückfahrt zu unserem Übernachtungsquartier erfolgte größtenteils mit dem Zug. Auch wenn uns genügend Stellplätze für unsere Fahrräder zugesagt wurden, faltete ein Teilnehmer, der die Tour mit einem Faltrad bewältigte, dieses unter staunenden tschechischen Augen zusammen. Wie versprochen fanden alle Fahrräder in dem schienenbusähnlichen Gefährt Platz. Fasziniert und beeindruckt waren wir von dem relativ hohen Personalaufwand - in Deutschland undenkbar - und dem vorherrschenden Handbetrieb (z.B. beim Weichenstellen). Knapp zwei Stunden dauerte das Abenteuer, das in Volary endete. Die restlichen sieben Kilometer bis Lenora legten wir bei Dunkelheit - es war inzwischen 22.30 Uhr - und mit mehr oder weniger viel Licht ausgestattet wieder mit dem Fahrrad zurück. Nach insgesamt 76 Kilometer auf dem Sattel trafen wir in unserem Übernachtungsquartier ein, wo wir den Tag nach einer Dusche etwas erschöpft, aber mit vielen neuen Eindrücken, im Bett enden ließen.

Am vorletzten Tag sollten wir den höchsten Punkt unserer gesamten Böhmen-Tour erreichen und so war ein reichhaltiges Frühstück willkommen. Aber das waren wir ja nun schon gewohnt. Auch an diesem Morgen mußte ein Teilnehmer mit Schrecken ein Defekt an seinem Fahrrad feststellen - diesmal: Speichenbruch. Wohl eine Folge der Nachtfahrt vom Vortag über die "guten" tschechischen Straßen. Nach weniger als einer Viertelstunde war - unter ungläubig schauenden MitradlerInnen - der Speichenbruch behoben und es konnte losgehen. Worauf alle hätten verzichten können, traf zu Beginn dieser Tagesetappe ein: Regen. Da es allerdings nur ein leichter Schauer von kurzer Dauer war, konnte die Regenbekleidung bald wieder eingepackt werden. Über Stozec, wo wieder eine kurze Rast zur Getränkeaufnahme eingelegt wurde und einen mäßigen, aber nicht enden wollenden Anstieg gelangten wir zum Plešné jezero (Plöckensteinsee, 1090 m). Der Gletschersee hat eine Maximaltiefe von 18,3 m und ist der zweit höchstgelegene Böhmerwaldsee. Hier ließen wir uns zu unserer Mittagsrast nieder. Die bewaldeten Berghänge an anderen Ende des Sees waren zu diesem Zeitpunkt noch nebelverhangen. Nachdem wir uns gestärkt hatten stand uns der eigentliche Kraftakt diese Tages bevor: der Aufstieg zum Adalbert-Stifter-Denkmal. Zu Fuß ging es einen mit Steinen und Baumwurzeln gespickten, 1,5 km langen Weg hinauf. Nach etwas mehr als einer halben Stunde erreichten wir das 14,5 m hohe Granitdenkmal, das etwas unterhalb des Berges Plechý (Plöckenstein, 1378 m) steht. Es wurde in den Jahren 1876 - 77 zu Ehren des in Horní Planá gebohrenen Böhmerwald-Dichters und Schriftstellers Adalbert Stifter erbaut. Da sich der Nebel inzwischen aufgelöst hatte, bot sich uns von einem Aussichtsfelsen ein herrlicher Ausblick auf den Plöckensteinsee und ins Moldautal mit dem Lipnostausee. Nach dem Abstieg, der sich noch mühseliger als der Aufstieg gestaltete, konnten wir den weiteren Weg in gewohnter Weise - nämlich mit dem Fahrrad - fortsetzen. Der Weg führte uns am Schwarzenberský plavební kanál (Schwarzenberger Schwemmkanal) entlang. Das 44 km lange unikate technische Denkmal wurde in zwei Abschnitten zwischen 1789 und 1822 erbaut und war zum Schwemmen von Scheitholz aus den unzugänglichen Teilen des Böhmerwaldes bis nach Wien bestimmt. Bei der kleinen Ansiedlung Jelení Vrchy (Hirschbergen) verläuft der Schwemmkanal unter dem Berg Plešivec durch einen 419 m langen Tunnel. In einem Imbiß der Ansiedlung legten wir eine Kaffeepause ein. Bei dieser Gelegenheit wurde der Defekt am Hinterrad, das über akuten Luftmangel klagte, einer Mitradlerin behoben. Auf den nächsten Kilometern begleitete uns der Schwarzenberger Schwemmkanal, der an der Rosenauer-Kapelle mit dem Jezerní potok (Seebach) kreuzt, aus dessen Wasser der Kanal u.a. gespeist wird. Den Rest des Weges nach Lenora führte uns, wie schon an den beiden Tagen zuvor, am Naturpark Moldau-Auen vorbei. Nach 68 Kilometern trafen wir schließlich an der Pension Lenora ein. Unseren letzten Abend in Böhmen ließen wir der selben Gaststätte ausklingen, in der wir schon zwei Abende zuvor bestens gespeist haten. Und auch diesmal lüfteten einige das böhmische Geheimnis.

Am achten Tag hieß es Abschied von Böhmen zu nehmen: die Abreise stand an. Diese erfolgte per Bus und Bahn, so daß wir vom Fahrradfahren eine wohlverdiente Pause einlegen konnten. Nach dem Frühstück wartete bereits ein Bus mit Fahrer und Fahrradanhänger auf uns. Gemeinsam verluden wir unsere Fahrräder und los ging es Richtung Bahnhof Bayerisch Eisenstein. Je weiter die Zeit fortschritt und der Bahnhof nicht schnell genug näher kam, desto höher stiegen die Befürchtungen, den Zug zu verpassen. An der Grenze eingetroffen, ging alles ganz schnell: In einer Gemeinschaftsaktion luden wir die Fahrräder aus, befestigten unser Gepäck und gingen schnellen Schrittes zum Grenzübergang. Der tschechische Grenzbeamte winkte uns freundlich durch. Sein deutscher Kollge hatte wohl einen seiner schlechten Tage erwischt. Ein Teilnehmer wurde zeitraubenderweise - der Zug wartete schon - nach Zigaretten gefragt. Er konnte die Frage aber überzeugend verneinen, so daß wir tatsächlich rechtzeitig im Zug der Regentalbahn saßen. Der nächste Streß stand uns beim Umstieg in Plattling bevor. Da der Zug jedoch am selben Bahnsteig abfuhr, wurden wir vom gepäckbeladenen-Fahrrad-Treppensteigen verschont. In den nächsten drei Stunden bis Frankfurt konnten wir uns vom Streß etwas erholen. In Würzburg verließ uns ein Mitradler. Etwas später als geplant trafen wir in Frankfurt ein. Nachdem sich ein Teil der Radlergruppe verabschiedete und nach Bad Vilbel und Flörsheim weiterreiste bzw. in Frankfurt blieb, fuhr der Rest der Gruppe per S-Bahn weiter nach Rüsselsheim. Dort endete endgültig unsere einwöchige Radtour. Wir saßen insgesamt 24,5 Stunden auf dem Fahrrad und legten dabei 430 Kilometer, sowie rund 5500 Höhenmeter zurück. Trotz so mancher Anstrengung auf Grund der zahlreichen Anstiege können wir auf eine sehr schöne und bestens organisierte Tour zurückblicken, wofür den beiden Tourenleitern an dieser Stelle ein großer Dank gebührt.

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